In unserem goldenen Jubiläumsjahr laden wir euch ein, die Sammlung des Spinnbodens noch einmal ganz neu zu entdecken. Wir stellen interessante Objekte unseres Archivs Online ein wenig genauer vor.

Objekt #1 aus unserem Bestand: Die Zeitschrift Liebende Frauen
In den 1920er Jahren gab es erstmals Zeitschriften von und für frauenliebende Frauen. Neben Kurzgeschichten, Gedichten und Kleinanzeigen zierte oft – aber nicht immer (siehe unser ausgewähltes Bild) – ein Aktbild das Cover. Hier seht ihr ein Cover der Zeitschrift Liebende Frauen aus dem Jahr 1929.Der Spinnboden besitzt weltweit die einzigen Ausgaben dieser Zeitschrift. 2007 erstand das Archiv die kompletten fünf Jahrgänge von 1926 bis 1931. Über 30 Leute haben damals Geld zusammengelegt, um diese Hefte zu kaufen. Im Jahr 2018 sind die Ausgaben außerdem komplett digitalisiert worden und für jede*n Online im Meta Katalog zugänglich. Einen informativen kurzen Artikel von Heike Schader zu der Zeitschrift findet ihr auf der Website des Digitalen Deutschen Frauenarchivs.
„Der Entstehungshintergrund der Zeitschrift Liebende Frauen ist ein Rätsel. Die Zeitschrift ist ein Nachdruck der Frauenliebe, doch ist völlig unklar, zu welchem Zweck dies geschah.“
Heike Schader

Objekt #2 aus unserem Bestand: Roman „Der Skorpion“ von Anna Elisabet Weirauch
Romane mit lesbischen Figuren waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr selten. Von 1919 bis 1931 erschien beispielsweise die Trilogie „Der Skorpion“. Im Beitragsbild ist der dritte Band aus dem Jahr 1931 zu sehen. In der Trilogie erzählt die lesbische Schriftstellerin und Schauspielerin Anna Elisabet Weirauch (1887-1970) die Entwicklung einer jungen homosexuellen Frau im gesellschaftlichen Kontext. Der Skorpion blieb der einzige Roman mit lesbischem Inhalt von Weirauch. Auch in den USA erschien der Roman in Übersetzung.
Obwohl diese Trilogie in der Zeit des Nationalsozialismus auf der sogenannten „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ stand, blieb Weirauch selbst während der NS-Zeit aktive Schriftstellerin und war Mitglied der „Reichsschrifttumskammer“ – sie und ihr Werk müssen also unbedingt kritisch rezipiert werden!
Im Spinnboden befinden sich alle drei Bände in verschiedenen Ausgaben sowie eine kleine Sammlung zu Weirauch.
Mehr Infos zu dem Roman und der Person Weirauchs sowie digitale Ausgaben des Buchs findet ihr auf der Website des Digitalen Deutschen Frauenarchivs.
„Der Skorpion ist wohl der einzige Roman von Weirauch, der sich dem Thema lesbische Liebe widmet […]. Allerdings ist Der Skorpion auch die einzige Trilogie der Autorin, was auf eine intensive Beschäftigung mit dem Thema schließen lässt. Hatte der Roman womöglich einen autobiografischen Hintergrund oder schrieb sie lediglich in aufklärerischer Absicht?“
Claudia Schoppmann

Objekt #3 aus unserem Bestand: Reiseführer von Ruth Margarete Roellig „Berlins lesbische Frauen“ mit einem Vorwort von Dr. Magnus Hirschfeld
In der Weimarer Republik gab es eine große lesbische Subkultur. Neben den bereits vorgestellten lesbischen Zeitschriften, gehörte dazu auch eine große lesbische und queere Barkultur in den Städten. Im Bild seht ihr einen Reiseführer aus dem Jahr 1928, in dem allein 14 lesbische Treffpunkte in Berlin vorgestellt werden. Dazu gehören unter anderen „Die Hohenzollern-Diele“, das „Dorian Gray“, „Der Toppkeller“, das „Café Domino“, der „Klub der Freundinnen“ oder das „Eldorado“. Es gab aber noch viel mehr Orte, die meist in den Anzeigenteilen der lesbischen Zeitschriften ihre Events bewarben. Neben normalen Barabenden, gab es bspw. Kostüm- oder Maskenbälle. Viele Orte sprachen eine spezifische Zielgruppe an, dies hatte oft mit der Klassenherkunft sowie dem Begehren oder geschlechtlichen Ausdruck der Besuchenden zu tun.
Die Verfasserin Ruth Margarete Roellig (1878-1969) war Schriftstellerin und veröffentlichte verschiedene Texte und Romane, sie lebte auch selbst lesbisch. Durch ihre Artikel über Frauenliebe in den lesbischen Zeitschriften wurde Roellig zu einer lesbischen Szenebekanntheit in Weimar- Berlin. Jedoch ist ihre schriftstellerische Tätigkeit, die sie auch in der NS-Zeit weiterführte, ebenfalls sehr kritisch zu sehen. In ihrem letzten Roman von 1937 bspw. „Soldaten, Tod, Tänzerin“ sind antisemitische und antikommunistische Motive vorhanden. „Berlins lesbische Frauen“ landete im Jahr 1938 auf der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“. Das Buch wurde 1981 und 1994 unter dem Titel „Lila Nächte: Die Damenklubs der Zwanziger Jahre“ neu aufgelegt. Bei uns im Archiv findet ihr ein Originalexemplar des Reiseführers sowie die späteren Neuauflagen.
In dem tollen Projekt „Hier ist‘s richtig“ von @rorymidhani könnt ihr einige der genannten Bars mittels Augmented Reality besuchen und einen Eindruck der Atmosphäre gewinnen.

Objekt #4 aus unserem Bestand: Lesbische Kontaktanzeigen
Kontaktanzeigen sind ein lange bewährtes Mittel, um andere Lesben kennenzulernen und kleine Liebschaften zu finden. Zum Teil findet ihr diese auch heute noch z.B. in der Siegessäule oder bei L.Mag Online. Gar nicht so anders als Tinder, OkCupid, Her & Co.
„BERLINERIN, 49/170, sucht liebevolle, aufrichtige DAUERFREUNDIN.“
anonym
Bereits Quellen aus dem Jahr 1902 listen lesbische Kontaktanzeigen in regionalen Zeitungen auf (siehe das Buch von Ilse Kokula: Weibliche Homosexualität um 1900 in zeitgenössischen Dokumenten). Und in den Zeitschriften der 1920er Jahre gab es selbstverständlich immer einen Kontaktanzeigen-Teil.
Im Beitragsbild findet ihr drei beispielhafte Annoncen von Mitte der 1970er Jahre aus einem kleinen Anzeigenblatt namens „Adress.-Vermittlung“ vom Verlag und Schreibbüro von S.H.G. Richter. Hier konnte „Dauerfreundschaft“, „Freizeitpartnerin“ oder „Brieffreundin“ von/für Frauen in BRD und West-Berlin gefunden werden. Wer ein Abonnement abschloss (9 DM für 3 Monate) bekam die Schreibmaschine-Seiten alle 14 Tage „neutral“ zugesandt.
„BERLINERIN, aufgeschlossen und vital, gut aussehend, wünscht sich eine ehrliche Freundin über 60 Jahre. Bin sehr einsam!“
anonym
Ein Projekt der Künstlerin Irène Mélix „lonely hearts“ hat zahlreiche lesbische Kontaktanzeigen Online zusammengetragen.
Und auch bei uns im Spinnboden gibt es einmal jährlich einen Workshop mit der Schauspielerin Monika Freinberger, wo die Teilnehmer*innen eine Szenische Lesung mit lesbischen Kleinanzeigen durch die Jahrzehnte erarbeiten.
Kommt doch gern mal vorbei und stöbert in den Gesuchen versch. Jahre unseres großen lesbischen Zeitschriftenbestands – es macht wirklich Freude!
„DAME, 50 Jahre, sucht ehrliche Dauerfreundschaft. Wohnung, Wagen und Telefon vorhanden.“
anonym

Objekt #5 aus unserem Bestand: DIY-Einladung Lesbische Hochzeitsfête von 1972
Gerade, weil wir die Errungenschaft der Homo-Ehe nicht als das Kernziel unseres politischen Kampfes verstehen, so hat es uns diese Einladung zu einer lesbischen Hochzeitsfête von 1972 – lange vor der staatlich anerkannten Ehe für Lesben und Schwule in Deutschland – in ihrem Charme angetan.
„Schwestern, Brüder, Solidargenossen! Wir legen es an euer warmes Herz zu unserer lesbischen Hochzeitsfête zu kommen. Am 25.11.1972. 18.00 Uhr / Pünktlich! In der FUCKTORY, Hohenzollernring 66.Kommt in: Fummel – Frack – Gammelpelle, warme Atmosphäre wird garantiert! Keine Geschenke! […]“
aus der Einladung
Die Einladung befindet sich in unserem Bestand zum historischen LAZ – Lesbisches Aktionzentrum Westberlin, welches das Spinnboden-Archiv 1973 begründete. In dem Bestand könnt ihr neben Flyern, Protokollen, politischen Manifesten und Zeitungsartikeln auch immer wieder auf solche kleinen persönlichen Schätze stoßen. Wenn ihr lesbische Alltgagsgeschichte frührerer Jahrzehnte entdecken wollt, dann besucht uns!

Objekt #6 aus unserem Bestand: Zeitschrift Lesbenfront, Ausgabe Nr. 3/1976
Ab den 1970er Jahren gab es erstmals seit der Weimarer Republik wieder mehrere lesbische Zeitschriften und somit eine Auswahl. Es begann mit der „Lesbenpresse“ und der „UkZ (Unsere kleine Zeitung)“ 1975 in der BRD. Zuvor gab es in der Nachkriegszeit lediglich in der BRD wenige Ausgaben einer Zeitschrift namens „Wir Freundinnen“ (1951/52) und eine lesbische Beilage „Aphrodite“ in einer schwulen Zeitschrift. Die Zeitschrift Lesbenfront, deren Cover der Nr. 3/1976 in unserem Beitrag abgebildet ist, war die einzige deutschsprachige Lesbenzeitschrift aus der Schweiz. Sie erschien von 1975-2005 und damit ganze 30 Jahre. Bis 1980 wurde sie von der HFG Homosexuelle Frauengruppe Zürich herausgegeben, danach von wechselnden Redaktionskollektiven. Der Name der Zeitschrift änderte sich mit den Jahren ebenfalls: Lesbenfront (1975-1984), Frau ohne Herz (1984-1995), die (1996-2004), Skipper (2004-2005).
Alle Hefte sind digitalisiert und unter dem jeweiligen Titel kostenlos abrufbar auf www.e-periodica.ch
Wir haben diesen Titel ausgewählt, da die berühmte Amazonenstatue im Berliner Tiergarten abgebildet ist. Über der Amazone schwebt die Sprechblase mit dem Gedanken:
„Die Amazonen kommen zurück!“
Sprechblase auf dem Cover
Die Statue findet ihr grafisch verändert auch auf dem Titel unseres lesbisch-queeren Stadtplans für Berlin von 2020 wieder. Die Amazonenstatue im Tiergarten war und ist ein lesbischer Treffpunkt, da es in Teilen lesbischer Bewegungen immer wieder Bezüge zu den Amazonen-Völkern gab und gibt. Beispielsweise gibt es im Sommer das Amazonen-Cruising.

Objekt #7 aus unserem Bestand: Bild-Artikel „Richter flüchten vor lesbischen Frauen“ (1974)
Im Jahr 1974 wurden zwei Frauen, die eine Liebesbeziehung zueinander hatten, Marion Ihns und Judy Andersen, vor Gericht angeklagt. Die beiden waren im November 1972 verhaftet worden, da sie einen Mann für die Tötung von Marion Ihns’ gewalttätigen Ehemann bezahlt hatten. Der Prozess in Itzehoe wurde in der Presse sexistisch und lesbenfeindlich begleitet – das Lesbischsein wurde als Grund für die Tat ausgelegt, nicht die Gewalt des Ehemanns. Insbesondere die Bild-Zeitung schlachtete bereits ab Januar 1973 in einer diffamierenden Serie namens „die Verbrechen der lesbischen Frauen“ Gewalttaten aus, in denen Lesben beteiligt waren und setzte lesbisches Leben und Kriminalität gleich.
Sowohl gegen die Bild-Serie als auch die Prozessberichterstattung in den (Boulevard)medien und die Urteilsverkündung, gab es lesbischen und feminististischen Widerstand. Voran waren dabei Lesben der HAW-Frauengruppe (später LAZ – Lesbisches Aktionszentrum Westberlin), die gemeinsam mit Heteras aus dem Frauenzentrum Berlin Flugblattaktionen machten und im September 1974 mit Frauen aus Hamburg im Gerichtssaal und vor dem Gerichtsgebäude gegen die skandalöse Verhandlung und Berichterstattung in der Presse demonstrierten. Die Protestaktion im Gerichtssaal fand ebenfalls mediale Aufmerksamkeit, siehe unser Beitragsbild: So titelte die Bild-Zeitung:
„Richter flüchten vor lesbischen Frauen“
Bild-Artikel, 17.09.1974
Denn die Richter hatten beim Protest fluchartig den Saal verlassen.
An dem Richterspruch der lesbenslangen Haftstrafe für die Angeklagten änderte diese Aktion jedoch nichts.
Marion Ihns distanzierte sich später von der Beziehung und warnte alle Frauen vor der lesbischen Liebe, womit sie das diskriminierende Pressenarrativ untermauerte und Judy Andersen als „die Verführerin“ hinstellte.
Mehr Zeitungsartikel findet ihr in unserer umfangreichen Zeitungsausschnittsammlung, die 1973 angelegt wurde.

Objekt #8 aus unserem Bestand: Lesben-Archiv Rundbrief Nr. 1/1981
Der Spinnboden hatte einen eigenen Rundbrief, dessen erste Ausgabe 1981 erschien. Das Titelblatt mit einer historischen Zeichnung von Christian Schad zeigt, dass die Wiederentdeckung der lesbischen Subkultur aus den 1920er Jahren ein großes Anliegen des Spinnbodens war, da viel Wissen verlorenging.
Zu dem Zeitpunkt des Erscheinens des ersten Rundbriefs 1981 war weder das Lesbenarchiv öffentlich zugänglich noch der Name „Spinnboden“ entstanden. Die wiederentdeckten Bestände des LAZ-Archiv (seit 1973) wurden gerade neuaufgebaut und die Arbeit, einen öffentlich zugänglichen Ort zu schaffen, war im vollen Gange.
Auf den 4 Seiten dieses ersten Rundbriefs, die mit Schreibmaschine getippt wurden (Vorder- und Rückseite) und nur mit einer Tackernadel zusammengehalten sind, berichten die am Archiv beteiligten Lesben über sich (7 Personen), was sie suchen und welche Bestände (Auswahl) es bereits im Archiv gibt (z.B. Bücher, Zeitschriften und Diplomarbeiten). Hier ein kleiner Auszug aus dem Innenteil:
„UNSERE GESCHICHTE MÜSSEN WIR SELBST BEWAHREN! Wir wollen die Geschichte lesbischer Frauen bewahren, wollen vermitteln wie sie damals und heute lebten, liebten und sich dargestellt haben.“ (Seite 3)
Seite 3 Rundbrief Nr. 1/1981
„Wir suchen: Aus den Bars, Clubs […] Aus dem Lesbischen Aktionszentrum und der Gruppe L74 […] Von den Unilesben […] Von den Frauen, die mit der Zeitschrift ‚Die Partnerin‘ zusammenarbeiteten […] Magielesben, Landlesben, Reiselesben, Hausbesetzerlesben, Altlesben, Junglesben, Sublesben, Clublesben, Handwerkslesben, …lesben, …lesben […]“
Seite 4/5 Rundbrief Nr. 1/1981
Ab der Nummer 4 (Juli 1983) änderte sich der Titel, nun gab es den Namen „Spinnboden“ und den Untertitel „Texte“. Insgesamt gibt es 18 Ausgaben der „Spinnboden Texte“ bis 1992 und nochmal eine einzelne Ausgabe von 1998. Das Heft wird mit jeder Ausgabe umfangreicher, enthält Artikel zu Veranstaltungen, Archivzugängen oder lesbischen Persönlichkeiten und gibt Aufschluss zu über zehn Jahren Archivgeschichte. Eine tolle Quelle!

Objekt #9 aus unserem Bestand: Spinnboden Tuch (1984)
Im Juni 1983 wurde der Verein „Spinnboden – Archiv zur Entdeckung und Bewahrung von Frauenliebe“ gegründet. Damals wurde das Wort „lesbisch“ im Namen noch bewusst vermieden, um die Chancen auf eine staatliche Finanzierung zu erhöhen. Bei „Archiven von unten“, also Community- oder grassroots-Archiven, die aus linken sozialen Bewegungen heraus gegründet wurden, ist es bis heute (auch international) ein Thema, inwieweit staatliche Finanzierung für die Archivarbeit gewünscht bzw. befürwortet wird oder nicht. Die Gründerinnen des Spinnbodens haben sich von Anfang an dafür entschieden.
Unser Objekt zeigt ein bedrucktes Tuch von 1984, welches den Namen bildlich darstellt. Viele fragen uns immer, woher der Name Spinnboden kommt oder was dieser bedeutet:
„Spinnboden“ beschreibt den Ort, wo Frauen früher Wolle auf Rädern gesponnen haben. Hier kamen sie zusammen, arbeiteten und tauschten dabei Geschichten aus. Den Archivgründerinnen schien daher der Name passend für einen Ort, an dem lesbische Geschichte(n) gesammelt und weitergegeben werden.
Im Juli 2001, also erst knapp 20 Jahre später wurde der Name in „Spinnboden Lesbenarchiv & Bibliothek“ geändert, um für mehr öffentliche Sichtbarkeit von Lesben zu sorgen.
Wir freuen uns sehr über diesen Namen. Das Archiv, seine Bestände und die Geschichten, die es bei uns zu entdecken gibt, zeigen, dass ein Verständnis von Lesben und lesbischem Leben komplex, vielfältig und immer im Wandel war und ist. Lesbisch und queer kann deshalb nach unserer Perspektive nicht voneinander getrennt werden!